Harald Muellers Lebenswerk ist ein gewichtiges Stück deutscher Theaterliteratur und Zeitgeschichte. Diese Website will einen kurzen Überblick über sein Schaffen und seinen Hintergrund geben.

Harald Mueller im Juli 2015
Harald Mueller, Juli 2015, Foto: Margit Tabel-Gerster

Schreiben und Inszenieren

Das Theater war von der Schulzeit an Harald Muellers Leidenschaft und Lebensinhalt. Schon mit 15 leitete er eine Theatergruppe der evangelischen Pfadfinder. Zeitlebens hat er geschrieben wann und wo immer es möglich war. Von Hand, mit der Schreibmaschine, niemals auf einem Computer. Bis zuletzt arbeitete Harald Mueller an neuen Stücken. Auch das Talent zum Inszenieren war ihm gegeben. Besonders oft und gern tat er das mit Schauspielern und Laien im Rahmen der Sommerakademie Klappholttal.

Stücke

Harald Muellers Theaterstücke sind geprägt von einer düsteren, betont desillusionierten Stimmung – bis hin zur Postapokalypse. Schon das Debüt „Großer Wolf“ weist in diese Richtung: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Der Umgang mit der deutschen Sprache ist dabei bewusst gewichtig, erdig, hart. Wenige können mit Sprache so umgehen, so gekonnt vulgär sein, in 19 Sprachen übersetzt, ein deutscher Bukowski. Spätestens seit „Totenfloß“, zeitweilig einem der meistgespielten Stücke auf deutschen Bühnen, gehört Harald Mueller zu den international berühmten Dramatikern. Besonders in Russland, aber auch in Deutschland und Frankreich werden seine Werke bis heute regelmäßig inszeniert.

Herkunft

Harald Waldemar Mueller ist 1934 in Memel an der Ostseeküste in Litauen geboren, dem heutigen Klaipėda. Seine Familie hatte einen engen Bezug zu Russland: Sein deutschstämmiger Großvater hatte in St. Petersburg gelebt (seitdem schreibt der Familienname sich mit „ue“) und dort als Beamter im Telegrafenamt die Oktoberrevolution erlebt. 1918 siedelte die Familie nach Memel um, das damals zum Deutschen Reich gehörte. Im Zweiten Weltkrieg flohen sie weiter gen Westen und wurden in Lütjenburg (Holstein) ansässig.

Werk

Das Gesamtwerk von Harald Mueller umfasst im Wesentlichen 22 Stücke:

1969 Großer Wolf (UA: 1970)
1969 Halbdeutsch (UA: 1970)
1973 Stille Nacht (UA: 1974)
1974 Strandgut
1975 Winterreise (UA: 1976)
1976 Rosel
1977 Henkersnachtmahl
1978 Frankfurter Kreuz
1979 Gaunerroulett
1980 Die Trasse
1981 Kohlhaas
1982 Der tolle Bomberg
1984 Totenfloß (Oberhauser Fassung, Endfassung: 1986)
1985 Ein seltsamer Kampf um die Stadt Samarkand (UA: 1987)
1987 Bolero
1987 Bonndeutsch (Endfassung: 1989/90)
1990 Das bunte Leben und der schwarze Tod von Waldorf
1992 Doppeldeutsch
1994 Kanzlersturz: Deutschdeutsches Geschäft
1995 Luther rufen (UA: 1996)
1995 Die Magdeburger Hochzeit
1997 Luther rufen II, Freund Melanchthon
… danach als unvollendete Fragmente:
Der Schützenkönig
Genopolis
Schattenkabinett
Genderspiel
Soundcheck

Daneben entstanden mehrere Übersetzungen von George Bernard Shaw (u. a. Pygmalion), Edward Bond, Anthony Burgess und Israel Horovitz, sowie Auftragsarbeiten, Adaptionen und Hörspiele.

Harald Muellers Stücke sind beim Rowohlt Theaterverlag verlegt, seine Hörspiele bei Suhrkamp.

Sylt

Die Künstlerkolonie und Sommerakademie in Klappholttal auf Sylt war für viele Jahre Harald Muellers Wahlheimat. Das tägliche Bad in der kalten Nordsee, das Schreiben in einer kleinen Klause, die Einsamkeit der Dünen, aber auch der soziale Austausch und die Inszenierungen mit den Sommergästen, waren prägender Teil seines Lebens. Zuletzt lebte der Autor in Berlin.

Familie

Haralds Muellers Vater war Bankkaufmann, die Mutter Sekretärin. 1939 – Harald war fünf Jahre alt – zog der Vater, Waldemar, in den Krieg und kehrte zehn Jahre später als gebrochener Mann zurück. Die Mutter, Erna, musste die Familie allein versorgen. Seine jüngeren Brüder wurden beide nicht alt: Hans-Peter Mueller ging nach Kanada und starb dort 23-jährig bei einem Autounfall; Wolfgang Mueller, ein Opernsänger, starb in den 1980er-Jahren an Aids. Harald Mueller war zwei mal verheiratet, seine drei erwachsenen Töchter stammen aus jeweils verschiedenen Beziehungen.

Frühe Jahre

Als junger Mann verdingte sich Harald Mueller in verschiedenen Gelegenheitsberufen, sei es als Bergmann, Messevertreter oder Dolmetscher, aber auch als Rezitator sowie als Hörspiel- und Fernsehautor. 1955 begann er seine Schauspielerausbildung in München und Hamburg und studierte Germanistik und Theaterwissenschaft. Nach einem Jahr in Kanada, wo er den Nachlass seines Bruders regelte, schien ihm die Schaupielerei nicht mehr passend; er wollte nun schreiben. Gefördert wurde der junge Autor u.a. von Martin Walser. Sein Debütstück „Großer Wolf“ (Uraufführung: Münchner Kammerspiele, Claus Peymann) ließ aufhorchen. Es erhielt den Gerhart-Hauptmann-Förderpreis und ein Stipendium des Suhrkamp Verlags. Seit zweites Werk, „Halbdeutsch“, festigte diesen Erfolg und sicherte Harald Mueller einen Platz unter den beachteten jungen Autoren. Von 1971 bis 1974 folgte eine Anstellung als Dramaturg am Schillertheater in Berlin.

Film

In Volker Schlöndorffs Film „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“ (1971, >YouTube) spielte Harald Mueller die Rolle des Johann Soldan. In diesem Sittenbild des bäuerlichen Lebens im 19. Jahrhunderts geht es um einen Raubüberfall auf einen Goldschatz, der jedoch kläglich endet. Johann erhängt sich in der Gefangenschaft, um seiner Verurteilung zu entgehen. An einem weiteren Drehbuch Schlöndorffs war Harald Mueller als Autor beteiligt: „Die Moral der Ruth Halbfass“.

Übersetzungen

Harald Mueller hat mehrere Theaterstücke von George Bernard Shaw sowie von Israel Horovitz (als Co-Übersetzer) aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Die Verlagsrechte dafür liegen bei Suhrkamp (Shaw) bzw. Felix Bloch Erben (Horovitz).

Totenfloß

Das bis heute erfolgreichste Stück Harald Muellers wurde das 1984 erschienene „Totenfloß“. Der renommierte Kritiker Benjamin Heinrichs nominierte es im Jahrbuch Theater 1985 zum Stück des Jahres. Die düstere Vision einer dystopischen Überlebensgemeinschaft nach der Apokalypse fiel zusammen mit dem Weltereignis des Super-GAU von Tschernobyl. Vielleicht auch deshalb wird das Stück bis heute in Russland und der Ukraine besonders häufig aufgeführt. „Totenfloß“ wurde in 12 Sprachen übersetzt. 

Der Vater und der Krieg

Prägend für Harald Muellers Leben war die Person seines verlorenen Vaters Waldemar. Seiner Sprachbegabung wegen wurde dieser im Zweiten Weltkrieg als Übersetzer und in der Propaganda eingesetzt. Noch in den letzten Kriegstagen fuhr er von Kiel aus in den Kessel von Königsberg, konnte aber vor den Sowjets nach Schweden fliehen. Nach Kriegsende drohte ihm im Zuge der Baltenauslieferung von dort aus die Abschiebung in die sowjetische Kriegsgefangnenschaft, der die Internierten durch einen Massensuizid zu entrinnen versuchten. Schwer traumatisiert verbrachte Waldemar den Rest seines Lebens in schwedischen und deutschen psychiatrischen Anstalten, wo er letztlich durch eine Elektroschock-„Therapie“ den Tod fand. Ein tiefes Misstrauen der Natur des Menschen gegenüber und der Wunsch nach einer Aussöhnung mit Russland blieben für Harald Mueller wichtige Motive.

Literatur

Harald Muellers Stücke

beim Rowohlt Theaterverlag

bei L’Arche Editeur

Presse (Auswahl):

• Benjamin Heinrichs: „Der Mann in den Dünen“, Die Zeit vom 7. Juni 1985

• Dramatiker: „Rotzandkotz“, Der Spiegel vom 12. Oktober 1986

• “Viere reisen durch die tote Welt”, zur Uraufführung von „Totenfloß“, Die Zeit vom 24. Oktober 1986

Nachruf auf spiegel.de, 30. Dezember 2021

Nachruf in der sueddeutsche.de, 30. Dezember 2021

Nachruf in der Nachtkritik, 30. Dezember 2021

Nachruf in Theater der Zeit, Februar 2022

Auf Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Harald_Mueller

https://de.wikipedia.org/wiki/Totenfloß

Wissenschaftliche Arbeiten:

• Michaela Bürger-Koftis: „Das Drama als Zitierimperium. Zur Dramaturgie der Sprache bei Harald Mueller.“, Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2005, ISBN 3-86110-393-1